Was bedeutet Abstrakte Verweisung in der Berufsunfähigkeitsversicherung?
Die „Abstrakte Verweisung“ ist ein Begriff aus der Berufsunfähigkeitsversicherung (BU), der sich auf die Möglichkeit bezieht, einen Versicherten bei Eintritt der Berufsunfähigkeit auf eine andere, theoretisch ausübbare Tätigkeit zu verweisen, ohne dass er diesen Beruf tatsächlich ausüben muss. Das bedeutet: Sollte eine Person ihren erlernten Beruf aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr ausüben können, prüft die Versicherung, ob es eine andere Tätigkeit gibt, die der Versicherte theoretisch, basierend auf seinen Fähigkeiten und Qualifikationen, ausüben könnte. Wenn dies der Fall ist, wird die BU-Leistung unter Umständen nicht gezahlt, auch wenn die versicherte Person ihren ursprünglichen Beruf nicht mehr ausüben kann.
Die abstrakte Verweisung zielt darauf ab, den Versicherten dazu zu ermutigen, eine andere, möglicherweise weniger anspruchsvolle, aber passende Tätigkeit aufzunehmen, anstatt allein auf die BU-Rente angewiesen zu sein. Dieser Passus ist in vielen älteren BU-Verträgen enthalten und war lange eine Standardklausel. In den neueren BU-Policen wird die abstrakte Verweisung jedoch oft nicht mehr angewendet, da sie für Versicherte einige Nachteile mit sich bringen kann.
Wie funktioniert die abstrakte Verweisung in der Praxis?
In der Praxis läuft die abstrakte Verweisung so ab, dass die Versicherung bei einer Berufsunfähigkeit genau prüft, ob die versicherte Person eine alternative Tätigkeit, die ihrer Ausbildung und ihrem bisherigen Werdegang entspricht, ausüben könnte. Entscheidend ist dabei, ob die Tätigkeit unter Berücksichtigung der gesundheitlichen Einschränkungen des Versicherten realistisch ist und ob das Anforderungsprofil der alternativen Tätigkeit mit seinen Qualifikationen übereinstimmt.
Beispiel: Ein Chirurg, der aufgrund gesundheitlicher Probleme keine Operationen mehr durchführen kann, könnte abstrakt auf eine Tätigkeit als Medizin-Dozent oder Berater im medizinischen Bereich verwiesen werden. Diese Berufe setzen ebenfalls medizinisches Wissen voraus, sind jedoch körperlich weniger belastend. Würde die Versicherung auf die abstrakte Verweisung zurückgreifen, könnte sie in diesem Fall die Leistung verweigern, weil der Chirurg theoretisch in einem anderen Beruf tätig sein könnte.
Vor- und Nachteile der abstrakten Verweisung
Die abstrakte Verweisung hat einige Vor- und Nachteile, die sowohl die Versicherungsnehmer als auch die Versicherungsunternehmen betreffen. Hier sind einige Aspekte, die zu berücksichtigen sind:
- Vorteile für Versicherungen: Für die Versicherungen stellt die abstrakte Verweisung eine Kostenersparnis dar, da sie in bestimmten Fällen die Zahlung der BU-Rente vermeiden können. Sie schützt die Versicherung vor hohen finanziellen Belastungen, die aus häufigen und langwierigen BU-Leistungen resultieren.
- Nachteile für Versicherte: Für die Versicherungsnehmer kann die abstrakte Verweisung nachteilig sein, da sie trotz Berufsunfähigkeit möglicherweise keine Leistungen erhalten. Gerade für hochspezialisierte Fachkräfte, die schwer eine alternative Tätigkeit finden können, kann dies ein großer Nachteil sein.
- Rechtliche Unsicherheiten: In einigen Fällen führt die abstrakte Verweisung zu Streitigkeiten zwischen Versicherungen und Versicherten, da die Einschätzung, ob eine alternative Tätigkeit passend ist, oft subjektiv ist. Dies kann zu langwierigen rechtlichen Auseinandersetzungen führen.
Die Bedeutung der abstrakten Verweisung in modernen BU-Verträgen
In modernen Berufsunfähigkeitsversicherungen wird die abstrakte Verweisung oft nicht mehr angewendet. Stattdessen findet man die sogenannte „konkrete Verweisung“. Bei der konkreten Verweisung würde die BU-Leistung nur dann eingestellt oder verweigert, wenn der Versicherte tatsächlich eine andere Tätigkeit aufnimmt, die er ausüben kann und die mit seinen Qualifikationen und bisherigen Aufgaben vergleichbar ist. Diese Regelung ist für Versicherte vorteilhafter und wird in neuen Verträgen deshalb häufiger vereinbart.
Die Bedeutung der abstrakten Verweisung nimmt aufgrund dieser Entwicklung ab. Viele Versicherungsunternehmen haben erkannt, dass die abstrakte Verweisung in einigen Fällen unfair gegenüber den Versicherten ist, da die theoretische Möglichkeit, einen anderen Beruf auszuüben, nicht immer mit der Realität übereinstimmt. Daher lohnt es sich für Versicherungsnehmer, bei Vertragsabschluss darauf zu achten, ob eine abstrakte Verweisung ausgeschlossen ist.
Wichtige Punkte zur abstrakten Verweisung
Bei der Entscheidung für eine Berufsunfähigkeitsversicherung und bei der Prüfung bestehender Verträge sollten Versicherte einige wichtige Punkte zur abstrakten Verweisung beachten:
- Prüfen des Vertrags: Es ist sinnvoll, den Vertrag genau zu prüfen oder prüfen zu lassen, ob eine abstrakte Verweisung enthalten ist. Falls ja, kann ein Ausschluss der abstrakten Verweisung sinnvoll sein.
- Vergleich mit der konkreten Verweisung: Da die konkrete Verweisung oft vorteilhafter ist, sollten Versicherte prüfen, ob diese Klausel anstelle der abstrakten Verweisung möglich ist. Dies kann den Versicherungsschutz im Ernstfall verbessern.
- Verhandlungen mit dem Versicherer: Bei älteren Verträgen, die eine abstrakte Verweisung beinhalten, ist es manchmal möglich, mit dem Versicherer über eine Änderung des Vertrags zu sprechen oder einen neuen Vertrag abzuschließen, der diese Klausel ausschließt.
Fazit: Ist die abstrakte Verweisung noch zeitgemäß?
Die abstrakte Verweisung ist eine Vertragsklausel, die zunehmend an Bedeutung verliert, da sie für Versicherte oft als ungerecht empfunden wird. Sie kann im Ernstfall dazu führen, dass eine versicherte Person trotz Berufsunfähigkeit keine Leistungen aus der Berufsunfähigkeitsversicherung erhält, obwohl sie ihren bisherigen Beruf nicht mehr ausüben kann. Versicherte sollten daher darauf achten, ob ihre Police diese Klausel enthält und im Zweifelsfall einen Vertrag ohne abstrakte Verweisung bevorzugen.
Mit der Entwicklung hin zu flexibleren Versicherungsmodellen und dem wachsenden Angebot an BU-Versicherungen ohne abstrakte Verweisung stehen den Versicherten heute bessere Alternativen zur Verfügung, um im Ernstfall finanziell abgesichert zu sein.